Artikel 11 und 13 der neuen geplanten EU Urheberrechtsreform bedrohen durch Leistungsschutzrecht und Uploadfilter nicht nur die freie Meinungsäußerung und das Internet wie wir es bisher kennen, sondern auch viele Forenbetreiber und Communities.

Worum geht es genau?

Plattformbetreiber sollen zur Installation eines Uploadfilter verpflichtet werden, womit jeglicher Content, der auf einer Plattform eingestellt wird, bereits im Vorfeld geprüft werden soll. Diese automatischen Filter haben allerdings einen erheblichen Einfluss auf die freie Meinungsäußerung und die Vielfalt im Internet. Ein automatischer Filter kann nicht erkennen, was der Hintergrund des Uploades ist: Eine Satire auf einen bestehenden Beitrag? Eine Richtigstellung zu falschen Meldungen? Ein Meme zum lustigen Zeitvertreib? Zudem würde ein solcher Uploadfilter hohe existenzbedrohende Kosten auf Seiten der Plattformbetreiber verursachen.

57 Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen sprechen sich in einem offenen Brief gegen die EU-Urheberrechtsreform aus: Article 13 Open letter – Monitoring and Filtering of Internet Content is Unacceptable (englische Seite).

Das sogenannte Leistungsschutzrecht soll dafür sorgen, dass bei der Verwendung von schon kurzen Textzeilen und Verlinkungen eine Abgabe an die Urheber und Verleger zu zahlen ist. Seit 2013 gibt es ein ähnliches Gesetz bereits in Deutschland, doch laut Geschäftsbericht der VG Media hat dieses bisher mehr Prozesskosten als Lizenzzahlungen hervorgebracht. Ursprung des Gesetzes sind vor allem Streitigkeiten zwischen großen Verlagshäusern und Google, doch die Änderungen im EU Recht würden alle betreffen.

Welche Auswirkungen hat das? – Interview mit Andreas Jürgensen

Andreas Jürgensen

Andreas Jürgensen ist seit 2002 im Community Management tätig, seit 2008 hauptberuflich. Aktuell betreibt er fünf eigene Internet-Foren, die sich alle mit Fotografie beschäftigen. Aus Sorge über die aktuelle Urheberrechtsreform hat er die Initiative „Foren gegen Upload-Filter“ gestartet. Aktuell unterstützen mehr als 80 Foren mit 5 Millionen Mitgliedern die Initiative. Uns hat er einige wichtige Fragen zum Thema Leistungsschutzrecht beantwortet.

BVCM: Welche Auswirkungen würde der Beschluss des Artikel 13 konkret auf Foren und Communities haben?
Andreas Jürgensen: „Ganz konkret kann man das noch nicht sagen, ich kann nur versuchen, den aktuellen Gesetzesentwurf zu interpretieren. Betroffen sind erstmal Anbieter, die Zugang zu nutzergenerierten Inhalten anbieten – das trifft auf alle Foren zu. Wir als Betreiber sollen zunächst einmal zu Lizenzvereinbarungen mit Rechteinhabern verpflichtet werden.

Falls wir diese Lizenzvereinbarungen nicht abschließen, sind wir zur Filterung aller Inhalte vor Veröffentlichung verpflichtet – vollautomatisch und vor der Veröffentlichung, damit unter keinen Umständen Nutzungsrechte verletzt werden.

Auch wenn alle Details noch offen sind, kommen auf uns massive Kosten und eine abstruse Bürokratie zu. Und die Beschneidung der freien Rede und die Vorab-Zensur werden mit Sicherheit zu drastischen Reichweitenverlusten führen.“

BVCM: Wie sieht es mit der Verhältnismäßigkeit aus im Vergleich zwischen großen und kleinen Firmen?
Andreas Jürgensen: „Da würde ich gar nicht die Trennlinie ziehen, höchstens zwischen Internet-Konzernen wie Facebook und Google / YouTube auf der einen Seite und allen anderen. Mein Eindruck ist es, dass es darum geht, Google und Facebook auf Teufel-komm-raus zu Lizenzzahlungen zu bringen und dass die negativen Auswirkungen auf alle anderen ignoriert oder billigend als Kollateralschaden hingenommen werden.

Natürlich gibt es immer mal wieder Rechtsverstöße in unseren Foren: Beleidigungen oder Upload geschützter Werke. Diese werden aber innerhalb von kurzer Zeit wieder gelöscht, gefordert sind 24h, realistisch sind eher Minuten, weil wir eine aufmerksame Community haben.

Um auf die Verhältnismäßigkeit zurück zu kommen: Das deutsche Straßennetz wird unzweifelhaft auch für schwere Rechtsverstöße wie Schmuggel oder Menschenhandel genutzt. Wenn man das geplante Gesetz sinngemäß übertragen würde, müsste jedes Auto vor jedem Fahrtantritt durchsucht werden.

Insofern: Das Ziel ist legitim, die Maßnahmen sind ohne jedes Maß.“

BVCM: Was müsstest Du als Forenbetreiber umsetzen?
Andreas Jürgensen: „Genau weiß das keiner, ein durchaus realistisches Szenario wäre, dass wir entweder an Verwertungsgesellschaften wie GEMA oder VG Wort Pauschalabgaben zahlen müssten – als Lizenzvereinbarungen mit „den Rechteinhabern“. Heißt für mich: Eine pauschale Abgabe in unbekannter Höhe, mit der ich Inhalte lizensiere, die bei uns nicht gezeigt werden.

Oder wir müssten unsere Software umbauen, mit der jeder Inhalt – Bilder oder normale Textbeiträge – vor Veröffentlichung mit einer Datenbank von Rechteinhabern abgeglichen werden soll. Jeder, der sich IT-Projekten auskennt, weiß sofort, dass diese Rechtedatenbank ein Alptraum in jeder Hinsicht wird. Technisch ein Monster, das riesige Datenmengen vorhalten muss und in Echtzeit mit hochgeladenem Content vergleichen muss. Wie sollen die Prozesse aussehen, wie kommen zu schützende Werke in diese Datenbank? Wie wird mit Konflikten und Widersprüchen umgegangen? Wer schützt die Datenbank vor Missbrauch? Nicht zuletzt: Wer zahlt für den Aufbau, den Betrieb und die Pflege?“

BVCM: Was bedeutet das für die wirtschaftliche Existenz und Forenkultur?
Andreas Jürgensen: „Ich neige nicht zur Panik, als Forenbetreiber bewege ich mich seit über 10 Jahren in einem ständig wechselnden Minenfeld aus rechtlichen Vorgaben, User-Interessen und wirtschaftlichen Zwängen. Diese Regelung ist aber die erste, die mir existenzielle Ängste macht. Riesige Kosten für Lizenzen und technische Umbauten, die keinen Euro Mehrumsatz bringen. Abstruse Bürokratie mit Rechteinhabern, Verwertungsgesellschaften und staatlichen Behörden. Und Forumsmitglieder, die sich frustriert verabschieden, weil ihre Inhalte permanent und intransparent abgelehnt werden. In einem Satz: Kosten massiv rauf, Umsatz runter plus Frustration auf allen Seiten – ohne das irgendein Rechteinhaber wirklich was davon hat.

Nicht zuletzt mache ich mir große Sorgen als Bürger: Mit diesem Filter-Mechanismus wird ein technischer Moloch installiert, der sich von autokratischen Regierungen prima für politische Zensur mißbrauchen lässt.“

Alle Informationen und die Möglichkeit zur Beteiligung gibt es hier: Foren gegen Uploadfilter

Auch gibt es eine Petition auf Change.org: Stoppt die Zensurmaschine – Rettet das Internet!

Update: In der Abstimmung am 5. Juli 2018 hat die Mehrheit der EU-Abgeordneten gegen die vorgelegte Fassung der Urheberrechtsreform gestimmt. Mitte September wird nun einzeln über die Artikel und nicht mehr das Gesetz im Gesamten abgestimmt, dann sind auch Änderungsanträge erlaubt.

Es bleibt nun also noch etwas Zeit, Aufmerksamkeit und Verständnis für das Thema zu schaffen.

Update 2: Ende März soll im EU-Parlament über die aktuelle Fassung endgültig abgestimmt werden. Am 23. März finden unter dem Motto #saveyourinternet in Berlin Demonstrationen gegen das geplante Gesetz statt. Einen guten Artikel, warum die aktuelle Gesetzesvorlage das Internet bedroht und welche Unstimmigkeiten es gibt,  gibt es unter anderem bei Golem: Das „absolute Unverständnis“ des Axel Voss

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