Als ich mir Gedanken über meinen Artikel zum diesjährigen BVCM-Adventskalender gemacht habe, war schnell klar, dass ich einen Artikel darüber verfassen wollte, ob Social Bots unsere gerade erst neu entstandenen Berufsbilder des Social Media Managers und des Community Managers bedrohen. Dann kam das vergangene Wochenende und mit ihm dieser schwer verdauliche Artikel über Psychometrik anhand von Big Data.
Der Artikel macht schnell die Runde. Nicht wenige von uns, viele erfahrene Kolleginnen und Kollegen, sind entsetzt, was dort steht: Massenhafte Beeinflussung von Menschen anhand präziser Psychoprofile, die durch wenige Like-Klicks bei Facebook erstellt werden können. Der Hauptakteur im Text, Psychologe Michal Kosinski, spricht sogar von der Dimension einer Bombe. Entsprechend wird der Artikel im großen Umfang geteilt. Ich nehme an, dass ist passiert, da in vielen von uns das Bewusstsein schlummert, dass auch Facebook (unabsichtlich) an den derzeitigen Gesellschaftsveränderungen irgendwie beteiligt ist. Ein ungutes Gefühl, dass wir vermutlich über viele Diskussionen zu Filterblasen, Algorithmen und Datenmissbrauch in uns aufgeladen haben. Ich möchte das auch gar nicht zu weit wegschieben, jede Münze hat zwei Seiten. Licht und Schatten.
Dennoch müssen gerade wir Profis uns die Frage stellen, warum wir uns alle so leicht am Ring durch die Manege führen haben lassen? Warum reichte der erste Impuls des Entsetzens nicht aus, um zumindest fünf Minuten über das Thema nachzudenken, bevor wir aufgeladen mit Worten des eigenen Entsetzens weiter geteilt haben? Da nehme ich mich selbst nicht aus. Ich frage mich, warum ich im Alarmmodus zum Multiplikator einer Meldung wurde, die in der Engstirnigkeit durchaus den Thesen eines Prof. Manfred Spitzer entspricht?
Bitte machen Sie die Straße frei: Amygdalla im Einsatz
Ein Erklärungsversuch. Man kann sich ein wenig mit der Funktionsweise unseres Hirns beschäftigen, um das vielleicht zu erklären. Es gibt Momente in denen Grundängste die Kontrolle übernehmen. Wir denken dann nicht mehr mit unserer ganzen fulminanten Hirnleistung, sondern arbeiten effizient nur noch mit „Schaltkreisen“, die für das Überleben zuständig sind. Die Amygdalla, ein Teil unseres Hirns, arbeitet dabei wie eine Alarmanlage. Allerdings nicht frei von Fehlern. Wir werden häufig Opfer von Fehlalarmen. Dazu reicht manchmal ein Schatten oder eine Spinne. Vielleicht hat uns unser vorhandenes Wissen, unsere eigene Skepsis in diesem Zusammenhang einen Streich gespielt.
Tatsächlich tauchten relativ dicht zu dem Artikel bereits relativierende Berichte auf. Hier auch. Je mehr wir uns inhaltlich mit dem gesagten beschäftigten, desto klarer wurde uns, dass dort keine neue Methode erfunden war. Vielmehr wurden „nur“ die Qualität der Analyse und die Möglichkeiten des Microtargeting mit Facebook-Ads auf die Spitze getrieben. Das Ergebnis: Sehr effiziente Werbung. Genau das machen wir seit vielen Jahren für unsere Kunden und probieren selbst zu gern neue Möglichkeiten aus, die Facebook uns anbietet.
Werbung und Meinungsbildung
Die spannende Frage ist doch, wie schädlich ist eine solch erfolgreiche Werbestrategie für die Meinungsbildung innerhalb einer Bevölkerung. Immerhin will Donald Trump mit dieser Methode so große Erfolge gefeiert haben, dass er entgegen aller Prognosen zum nächsten US-Präsidenten gewählt wurde. Gegen eine sehr ablehnende Haltung der etablierten Qualitätsmedien in den USA. Als Profis wissen wir sehr wohl, was wir mit guten Kampagnen erreichen können. Wir wissen, dass wir die Optimierung von Inhalten mit dem Facebook-Ad Tool so wirkungsvoll hinbekommen, wie niemals zuvor. Wir wissen aber auch, dass wir jemandem der eine Badehose oder einen Bikini verkaufen wollen, nur schwerlich einen Schneeanzug andrehen können. Daher halte ich eine meinungsumkehrende Manipulation auf der Ebene des Individuums für eher selten.
Anders sieht es aus, wenn ich jemanden habe, der sich gerne gesund ernähren möchte und ich dieser Person bspw. ein Müsli verkaufen möchte. Selbst, wenn diese Person eher frisches Obst bevorzugt, werde ich mit großer Wahrscheinlichkeit Möglichkeiten finden sie für mein Müsli zu interessieren. Genau hier wirkt das im Ausgangsartikel beschriebene Verfahren. Man schaut, wer so oder so empfänglich für meine Botschaften ist. Dann wird diese Botschaft noch auf mich optimiert und Bingo. Ich bin offen für diese Art der Werbung und bereit mich damit zu beschäftigen. Evtl. möchte ich sogar anderen davon erzählen.
Nun überschneiden sich die Wahlprogramme von Parteien, sogar der ganz Rechten, in Teilen mit den Wahlprogrammen anderer Parteien. Diese Schnittmenge ist der Bereich in dem mit solchen Methoden erfolgreich agiert werden kann. In den USA ist das ein recht einseitiges Geschäft, da es dort eigentlich nur zwei starke Pole gibt, die sich mehr oder weniger gegenüberstehen. In Europa ist das etwas anders geartet, hier spielen mehr Parteien mit und die Machtzentren orientieren sich eher in die Mitte. Entsprechend brauchen wir für die Meinungsbildung starke Trends mit guten Themen. Ich vermute, dass die Methodik der Psychometrik hier alleine nichts mehr bewirkt. Da braucht es noch viele weitere Methoden, angefangen bei politischem Framing, über Markenklarheit, bis hin zu Sympathie und Glaubwürdigkeit. Wir stellen ja nicht zum ersten Mal fest, dass wir hier zum Teil andere Werte haben, als in den USA. Ich führe an der Stelle nur Datenschutz und Vorsorgeprinzip an.
Natürlich lassen sich mit Agendasetting und den Methoden des Online-Marketings auch in Deutschland Stimmen fangen. Diese Möglichkeiten sind allen bekannt, uns hier zu allererst. Entsprechend ist auch davon auszugehen, dass wir diese Methoden nutzen werden. Jedem von uns ist klar, dass wir jeden Tag versuchen die Menschen zu manipulieren. Zu unseren Gunsten. Online-Marketing kann das. Aber nicht in der Dimension, wie es uns der zugrunde liegende Artikel weiszumachen versucht.
Das sollte uns nicht davon abhalten wachsam zu sein und eben die Meta-Wirkung von Algorithmen immer wieder in Frage zu stellen. Um gute gesellschaftliche Lösungen zu ringen und fragwürdige Methoden anzuprangern. Wir sollten darauf achten, dass wir den Datenschutz weiter gut im Auge behalten, wie einer der aufmerksamsten, Markus Beckedahl das ganz richtig beschreibt. Vor allem sollte es uns auch nicht davon abhalten gute Menschen zu bleiben, reflektiert unseren Sinnen zu folgen und in die Zukunft zu vertrauen. Dazu müssen wir uns manchmal etwas mehr Zeit nehmen, als es dauert dem ersten Impuls zu folgen.
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