Eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgaben im Community Management ist der direkte Dialog mit der Community. In dieser Position ist der Community Manager gegenüber den Anspruchsgruppen der jeweiligen Marke oder Firma mit einem offiziellen Pressesprecher gleichzusetzen. Er agiert hier nicht mehr “nur” als Hans Peter oder Lieschen Müller, sondern als offizielle Stimme einer Institution. Genau dieser Verantwortung sollten sich sowohl der Community Manager, als auch das Unternehmen selbst bewusst sein. Genau hier sehe ich aktuell große Defizite oder vielleicht auch bewusste Ignoranz zu Gunsten von Likes und Reichweite. Doch welche Konsequenzen haben aufrührendes Clickbaiting und der “Wir führen doofe Nutzer öffentlich vor”-Stil im Community Management? Um die Auswirkungen auf die Community und sogar die Gesellschaft geht es in diesem Artikel.
Dieses Phänomen begegnet mir besonders ausgeprägt in der Verlagsbranche. Aber natürlich betrifft dies jede Organisation, die sich dieser Stilmittel bedient.
Likes um jeden Preis – ist das wirklich notwendig? Bild: Geralt auf Pixabay
Community Management – Anspruch und Realität
Ein guter Community Manager führt einen echten Dialog mit seinen Nutzern, nimmt sich Zeit seine Community und deren Individuen kennen zu lernen und eine Beziehung mit diesen aufzubauen. Das zeigt sich auch im Dialog, denn dieser ist respektvoll, hilfreich, sympathisch, humorvoll und wenn notwendig konstruktiv kritisch, streng und konsequent. Soviel zu der Idealvorstellung. In der Realität findet man diese Spielart des Community Managements leider nicht häufig. Einer der häufigsten Gründe dafür ist Zeitmangel. Gutes Community Management wird nicht mal eben so nebenbei erledigt. Sowohl eine gute Antwort, als auch der Beziehungsaufbau braucht Zeit, die oft schlichtweg nicht da ist. Ein weiterer Grund liegt schlicht in falschen Prioritäten und Kennzahlen. Ein Fokus auf Metriken wie Likes und Reichweite verführen schnell zu fragwürdigen Methoden zu Gunsten dieser Werte. Was dabei herauskommt, sehen wir stetig auf Facebook & Co – reißerische Überschriften, die ohne den Kontext des gesamten Artikels die Realität verzerren, nur noch besonders “lustige” Reaktionen auf Kosten der Leser oder gleich völlig unmoderierte Kommentarspalten, in denen Rechtsverstöße die Regel und nicht die Ausnahme sind.
Da fehlt ein Buchstabe Du Depp – die Unart diffamierenden Community Managements
Ausführlich habe ich mich in meinem Artikel “Lieber Kunde Du Arschloch, der schmale Grad zwischen Dialog und Diffamierung” über dieses Thema ausgelassen. An dieser Stelle möchte ich die Quintessenz zusammenfassen.
Was in den letzten Jahren in Mode gekommen ist, aus professioneller Community Management Sicht aber überhaupt nicht geht sind:
- Herablassende Antworten, die dem Nutzer eindeutig vermitteln, dass der Community Manager diesen für faul, dumm, lächerlich o.ä. hält.
- Persönliche Angriffe, bei dem der Community Manager die sachliche Ebene verlässt, um den Nutzer zu diskreditieren.
- Likes vor Mehrwert – die gezielte Suche nach Kommentaren, die möglichst liketrächtig beantwortet werden können, während Kommentare, die wirklich eine sinnvolle Antwort verdient/notwendig hätten, nicht beantwortet werden.
- Stehen lassen von strafrechtlich relevanten Äußerungen, die man liketrächtig beantworten kann
Schwierig ist:
- Ironie und Sarkasmus, denn nicht jeder versteht diese verbalen Spielarten und so wird aus so manchem Scherz ein gefühlter Angriff.
Natürlich wird sich ein guter Teil der “Zuschauer” über dieses diffamierende Community Management amüsieren, denn Menschen sind schadenfroh und fühlen sich besser, wenn sie auf jemanden herab sehen können (zumindest solange nicht sie oder eine Person aus dem Bekannten- bzw. Identifikationskreis das Opfer des Spottes ist). Das ist ein ganz einfaches psychologisches Prinzip und daher kommen die vielen Likes. Aber der Effekt geht viel tiefer.
Die Auswirkungen dieser Art des “Dialoges” auf die Community
Die negativen Auswirkungen eines solchen Community Managements ist manch einem Seitenbetreiber nicht bewusst. Oder sie werden bewusst in Kauf genommen. Um nur einige der unschönen Nebeneffekte zu nennen:
- Mit dieser Moderation geht auch immer Niveauverlust einher. Der Community Manager nimmt immer eine Vorbild-Rolle in der Community ein. Agiert dieser also mit unflätiger Tonalität, ist es nicht verwunderlich, wenn die Nutzer im gleichen Ton nachziehen. Das Niveau sinkt, während die Hemmschwelle für „gute Nutzer“ steigt, sich aktiv einzumischen.
- Die Organisation hinter der Seite verliert bei den Nutzern, die nicht mit Schadenfreude reagieren, an positiver Wahrnehmung. Bewusst oder unterbewusst übertragen die Mitleser die beobachtete Situation auf sich selbst und sich fragen sich, ob sie so behandelt werden möchten. Die Antwort auf diese Frage wird in der Regel „Nein“ heißen. Je emotionaler das Thema und je höher die Identifizierung der Zuschauer mit dem „Opfer“, desto größer ist dabei der Imageverlust.
- Wenn der Kommentar nicht gerade bewusst provozierend geschrieben wurde, oder ein Troll dahinter steckt, gibt es zwei Möglichkeiten: entweder der angesprochene Nutzer wird wütend und noch stärker motiviert dem Community Management das Leben schwer zu machen, oder der Nutzer ist traurig/beleidigt und verabschiedet sich von der Seite (zu den Konsequenzen davon komme ich noch einmal im Abschnitt “Gesellschaftliche Komponente”).
- Unflätige und wenig sinnvolle Kommentare werden auf Facebook in den Vordergrund gerückt. Wieso? Ganz einfach: Facebook sortiert die Kommentare nach vermeintlicher Relevanz. So werden Kommentare, die absichtlich likehaschend beantwortet wurden, nach ganz oben sortiert und mit im Newsfeed angezeigt. Für die Mehrheit der Nutzer repräsentieren diese Kommentare dann das Niveau der jeweiligen Seite.
- Besonders unangebracht ist der Einsatz dieser Stilart im Kontext von Krisenkommunikation. Der Angegriffene fühlt sich in seiner Meinung nur bestätigt und bekommt durch die Opferrolle auch noch die Möglichkeit, diese ein Stück weit glaubwürdiger in seinen Kreisen zu verbreiten (“Schaut, die machen sich doch nur über uns lustig”).
Das heißt jetzt nicht, dass alle Community Manager mit jedem nervigem Nutzer und Troll da draußen in einen sinnvollen Dialog treten müssen – im Gegenteil. Jede Reaktion an dieser Stelle, und sei es nur, um dem Gegenüber einen „reinzudrücken“, verschafft dem Kommentar zusätzliche Aufmerksamkeit. Deswegen überlegt immer ganz genau, welchen Mehrwert es hat, wenn ihr auf einen unqualifizierten / unflätigen oder schlicht doofen Kommentar antwortet. Das bringt vielleicht Likes, aber dafür auch eine ganze Parade an Problemen und vor allen Dingen holt sich der Community Manager damit genau diese Art von Nutzern in die Community.
Clickbaiting als Teil des Problems
Eine weitere oft genutzt Methode für viele Kommentare, insbesondere aus den Kategorien von sinnfrei bis strafrechtlich relevant, ist Clickbaiting. Da werden Überschriften absichtlich reißerisch bis hetzend geschrieben, irreführende oder provozierende Bilder genutzt oder absichtlich mit den Vorurteilen und Emotionen der Leser gespielt. Das eigentlich Ziel ist dabei der Klick auf die eigene Webseite und/oder Reichweite. Was passiert ist, dass mehr als 50% die Artikel dahinter gar nicht mehr lesen, sondern direkt in den Kommentaren drauf los poltern. An dieser Stelle ist es nicht mehr nur Problem des Community Managements, sondern entwickelt eine gesellschaftliche Komponente.
Was ist Clickbaiting?
“Mit Clickbaiting bzw. Klickköder wird medienkritisch ein Prozess bezeichnet, Inhalte im World Wide Web mit einem Clickbait anzupreisen. Clickbaits dienen dem Zweck, höhere Zugriffszahlen und damit unter anderem mehr Werbeeinnahmen durch Internetwerbung oder eine größere Markenbekanntheit der Zielseite bzw. des Autors zu erzielen. Ein Clickbait besteht in der Regel aus einer reißerischen Überschrift, die eine sogenannte Neugierlücke (englisch curiosity gap) lässt. Sie teilt dem Leser gerade genügend Informationen mit, um ihn neugierig zu machen, aber nicht ausreichend, um diese Neugier auch zu befriedigen, ähnlich einem Cliffhanger.” Quelle: Wikipedia
Gesellschaftliche Komponente oder die Verhärtung der Filterblase
Ein Aspekt, der meiner Meinung nach nicht unerwähnt bleiben darf, ist der gesellschaftliche Effekt, der mit einer solchen Art der Kommunikation von “offizieller Stelle” einher geht.
Damit meine ich nicht nur die Ergebnisse der Studie der Johannes Gutenberg Universität, die klar zeigten, dass eine sarkastisch-ironische Moderation Glaubwürdigkeit sowie Nachrichtenqualität des Mediums deutlich schädigt. Um hier die Pressemitteilung zu zitieren:
“Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben festgestellt, dass die Moderatoren dieser Online-Nachrichtenseiten gut daran tun, ihre Reaktion auf solche abwertenden Nutzerkommentare genau zu bedenken. Reagieren die Moderatoren etwa mit einem ähnlichen Schema, indem sie die niedrige Qualität der Kommentare mit ironischen oder sarkastischen Bemerkungen kritisieren, steigert dies für Beobachter zwar den Unterhaltungswert der Diskussionen. Gleichzeitig schaden diese Bemerkungen jedoch der Glaubwürdigkeit des Mediums, lassen die kommentierten Nachrichten weniger relevant und professionell wirken und reduzieren darüber hinaus die Bereitschaft der Beobachter, an dem Diskussionsforum teilzunehmen.“
Im Klartext heißt das, dass die Nachrichtenseiten, die so mit ihrem Publikum umgehen, sich selbst unglaubwürdiger machen.
Oft werden dabei nicht nur die Kommentare zynisch beantwortet, die schon sehr deutlich zu verorten sind, sondern auch Kommentare von Lesern, die es einfach nicht besser wissen. Angesichts der deutlichen Lücke in Sachen Medienkompetenz in Deutschland ein Phänomen, dass nicht selten ist.
An dieser Stelle gäbe es die Möglichkeit ruhig und sachlich aufzuklären, aufzudecken bzw. zu erklären welche Quellen unseriös sind und so positiv einzuwirken. Wenn nicht direkt auf das Gegenüber, dann vielleicht auf Personen, die mitlesen. Stattdessen wird der Leser öffentlich vorgeführt und ausgelacht. Wer denkt das würde zu einem Umdenken führen, der liegt falsch, denn es passiert genau das Gegenteil.
Das spielt wiederum den Medien in die Hände, die gezielt Falschnachrichten verbreiten. Oft werden in diesen genau die Sorgen derjenigen aufgegriffen, die Ziel der ironischen Kommentare sind. Während diesen auf den klassischen Nachrichtenseiten mit Spott und Hohn begegnet wird, findet der Leser auf den anderen Seiten Verständnis. Das Ergebnis ist der Grundstein für den Eintritt auf die “dunkle Seite des Netzes” für einen Kommentator oder (Mit)Leser, der mit Verständnis noch einzufangen gewesen wäre.
Exkurs
Wie krass unterschiedlich die Realitäten, gerade auf Facebook, sein können zeigt das Experiment “Blue Feed Red Feed” des Wall Street Journals am Beispiel eines konservativen und einem liberalen Facebook Stream.
Auf der anderen Seite wandert das gemäßigte Publikum, das vielleicht noch in der Lage gewesen wäre durch einen gemäßigten Diskurs gezielt Denkanstöße zu verteilen, auf Präsenzen ab, auf denen eine andere Diskussionskultur / ein vernünftiges Community Management herrscht. Langsam aber sicher verhärten sich so die Filterblasen.
Fazit
Ist es wirklich notwendig, dass für Reichweite, Likes, Klicks und Kommentare jeglicher Anstand über Board geworfen wird? Ist es notwendig, dass:
- sich (durchaus) renommierte Tageszeitungen öffentlich über Menschen mit orthografischen Schwierigkeiten lustig machen, anstatt Kommentare zu beantworten, die berechtigte Fragen stellen?
- eindeutig rechtlich bedenklich bis strafbare Kommentare einfach stehen gelassen werden, weil an einer vernünftigen Ausbildung und personeller Stärke des Community Managements gespart wird?
- Titelzeilen geschrieben werden, die ohne Lektüre des Artikels Hass und Ressentiments in der Bevölkerung anfeuern, obwohl bekannt ist, dass ein Großteil der Nutzer in sozialen Medien Inhalte teilt, ohne diese vorher zu lesen?
- Redakteure neben ihrer Arbeit als Community Manager verfeuert werden, die weder die Erfahrung noch die Kapazität haben, um Herr der Kommentarlage zu werden?
Ich finde nein, mehr noch ich finde diese Praktiken höchst verwerflich. Jedes Unternehmen, dass sich dieser Methodiken bedient, sollte sich hier seiner Verantwortung bewusst sein und wenn es diese bewusst ignoriert zur Rechenschaft gezogen werden. Aber ein Umdenken kann hier nur dann erreicht werden, wenn die Betreiber die Konsequenzen ihres Handelns auch zu spüren bekommen. Insofern geht mein Appell an euch Menschen dort draußen – macht den Verlagen klar, was sie mit ihrer “Arbeit” in den sozialen Netzwerken anrichten, dass sie Teil des Problems sind, obwohl sie eigentlich Teil der Lösung sein müssten. Und an guten Lösungen müssen wir aktuell wirklich arbeiten! Beispiele für sehr gutes Community Management, gerade bei schwierigen Themen gibt es morgen in der Fortsetzung dieses Artikels.
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